eine sammlung.

1984

Holzfällen

»[...], dachte ich auf dem Ohrensessel.«

Ein Mann sitzt in einem Ohrensessel im Vorzimmer einer Wohnung. Er tut das im Buch „Holzfällen“, erschienen 1984, geschrieben von Thomas Bernhard.

Wer ist dieser Mann, der da im Ohrensessel sitzt? Ein Mann mittleren Alters, ich-Erzähler, vielleicht 50-60 Jahre alt. Einer, der Wien verlassen hat, um nach London zu gehen, weil er „mit allen diesen Wiener Leuten von damals gebrochen [hat]“ und zurückgekehrt ist.
Der Ohrensessel befindet sich im Vorzimmer der Wohnung der Auersberger in der Gentzgasse.
Der Mann sitzt da, weil er die Einladung „zu einem durch und durch künstlerischen Abendessen“ der Auersberger „blitzartig angenommen [hat], obwohl es vernünftiger gewesen wäre, ihre Einladung abzulehnen“. Diese Einladung wurde ausgesprochen auf dem „Graben“, wo der Mann seit seiner Rückkehr aus London gewohnheitsmäßig mehrere Male hin- und hergeht, obwohl „auf den Graben gehen heißt […] direkt in die Wiener Gesellschaftshölle zu gehen“.

Äußerlich betrachtet macht er eigentlich gar nichts außer zu sitzen im Ohrensessel. In seinem Inneren jedoch wütet er. Und er wütet fast ausschließlich über die ungefähr 320 Seiten des Buches. Er wütet, während er zurückblickt auf seine Zeit in Wien vor einem viertel Jahrhundert, als er Teil des „künstlerischen Verkehr[s]“ war.
Über Wien, die „fürchterliche Genievernichtungsmaschine […], eine entsetzliche Talentzertrümmerungsanstalt“. Über das „scheußliche Nachtmahl“ und die „Unmenschen“.
Und er wütet auch über sich selbst, dass er die Einladung nicht abgelehnt hat, sondern als „schwächste[r] Mensch und schwächste[r] Charakter […] mehr oder weniger allen Leuten ausgeliefert“ ist.

Es ist ein Buch über Beziehungen, Gruppendynamik, Selbstwahrnehmung und Selbsterkenntnis. Der Einblick in die künstlerische oder auch künstliche Szene zeigt uns einen komprimierten Blick auf Menschen, die fehlendes Selbstvertrauen durch Geltungssucht und Selbstdarstellung kaschieren. Und diese Ichbezogenheit führt zu instabilen Beziehung, Vorwürfen, Eifersucht und Hass. „Wir sind mit Menschen so innig zusammen, dass wir glauben, es ist eine Bindung für das ganze Leben, und verlieren sie auf einmal über Nacht aus den Augen und dem Gedächtnis.“
Es ist eine Gesellschaft, die sich selber trägt und die ausschließlich durch sich selbst getragen wird. Wenn das gesehen werden wegfällt, dann bleibt nicht mehr viel.

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