eine sammlung.

1974

Die verlorene Ehre der Katharina Blum

»‚Bumsen, meinetwegen‘, und ich hab’ die Pistole rausgenommen und sofort auf ihn geschossen«

Heinrich Bölls Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ – „Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann“ ist eine als Tatsachenbericht formulierte Erzählung, die genau das schildert, was sie verspricht: wie eine unschuldige Person aus ihrem Leben gerissen werden kann und zur Mörderin wird. Durch das Zutun der Medien und der Polizei, durch Verleumdung, Vorverurteilung und Verdächtigung, die an die psychischen Grenzen treiben.

„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ wurde 1974 veröffentlicht und nach der Erstveröffentlichung heftig und kontrovers diskutiert. Der Autor schreibt in seinem Nachwort „Zehn Jahre später“, dass die Reaktion der Presse „nicht nur böse, sondern streckenweise geradezu albern“ gewesen sei: „Man verzichtete auf die wöchentliche Bestseller-Liste, weil man das Buch hätte nennen müssen“.

Zu Beginn der Erzählung werden die das Buch bestimmenden Tatsachen genannt: „am Mittwoch […] verlässt […] eine junge Frau von siebenundzwanzig Jahren […] ihre Wohnung, um an einem Tanzvergnügen teilzunehmen. Vier Tage später […] [gibt sie] zu Protokoll, sie habe […] den Journalisten Werner Tötges erschossen […].“ Zwischen Mittwoch, wo Katharina Blum eine unschuldige Wirtschafterin ist, die von Bekannten als hilfsbereit, ordentlich und gewissenhaft beschrieben wird, und Sonntag liegen vier Tage, in denen sie dazu getrieben wird, einen Mord zu begehen, den ihr niemand zugetraut hätte.

Katharina lernt am Mittwoch auf dem zuvor genannten Tanzabend Ludwig Götten kennen, versteht sich auf Anhieb sehr gut mit ihm und nimmt ihn mit zu sich in die Wohnung. Götten aber wird von der Polizei gesucht, da er „ein lange gesuchter Bandit sei, des Bankraubes fast überführt und des Mordes und anderer Verbrechen verdächtig.“ Am nächsten Morgen stürmt die Polizei Katharinas Wohnung, findet Götten nicht mehr vor, aber nimmt Katharina fest. „Sie machte sich insofern verdächtig, als sie nicht überrascht, sondern gelassen, ‚wenn nicht triumphierend‘ wirkte“.

Im Anschluss wird sowohl von Seiten der Polizei als auch von Seiten der Medien Druck auf Katharina ausgeübt, dem sie letztlich nicht standhalten kann. In den Verhören werden Katharinas Worte verdreht, Aussagen auf die Goldwaage gelegt und jede Formulierung penibel untersucht. Ihr werden Vorwürfe gemacht, die sie aus moralischen Gründen und um andere zu schützen nicht widerlegen kann, ihr begegnen Frauendiskriminierung und Bagatellisierung von Männerverhalten. So werden die von ihr angegebenen Zudringlichkeiten von Männern als Zärtlichkeiten ins Protokoll aufgenommen und als sich Katharina darüber empört heißt es „das sei doch alles nicht so wichtig“. Als Hausbewohner von Katharina angeben, sie habe „hin und wieder Herrenbesuch empfangen oder mitgebracht“, sagt ihr der Polizeibeamte, dass es „nicht einmal verwerflich [sei], wenn da möglicherweise bei unaufdringlichen Zärtlichkeiten gewisse materielle Vorteile heraussprängen“.

Die Medien, in Bölls Erzählung als „die ZEITUNG“ betitelt, befragt auf dreiste Weise Katharinas Umfeld, nimmt Aussagen ihres Ex-Mannes auf, der sich begreiflicherweise nicht positiv äußert und verdreht Aussagen, so dass die von der ZEITUNG inszenierte Story stimmig wird und Katharina ab dem Moment ihrer Verhaftung als schuldig dargestellt und verleumdet wird.
Die Aussage ihrer Mutter „Warum musste das so enden, warum musste das so kommen?“ wird zu „So musste es ja kommen, so musste es ja enden“, der Ausspruch eines Bekannten„Wenn Katharina radikal ist, dann ist sie radikal hilfsbereit, planvoll und intelligent“ wird zu „Eine in jeder Hinsicht radikale Person“.

Ab der ersten Schlagzeile „Räuberliebchen Katharina Blum verweigert Aussage über Herrenbesuche“ wird von der ZEITUNG ein Bild von Katharina gezeichnet, das weder wahr ist, noch eine Chance zur Korrektur einräumt. Die ZEITUNG hat sich gegen sie verschworen und bleibt dabei. Und da „Alle Leute die [Katharina Blum kennt, die ZEITUNG lesen]“, werden das Stimmungsbild und die Informationen aus der ZEITUNG aufgenommen und unreflektiert übernommen. Denn was in der Zeitung steht, muss ja stimmen.

Katharina nimmt sich die Zeitungsartikel stark zu Herzen. Hinzukommender Telefon- und Briefterror bringen sie immer weiter an die Belastungsgrenzen. Als dann der Journalist Werner Tötges von der ZEITUNG zu einem Interview zu ihr kommt, sie mit dem Spruch „Na, Blümchen, was machen wir zwei denn jetzt? [… ] Ich schlage vor, dass wir jetzt erst einmal bumsen.“ anspricht und ihr „[an die Kledage ging]“, da denkt Katharina „Bumsen, meinetwegen“ „und ich hab’ die Pistole rausgenommen und sofort auf ihn geschossen. Zweimal, dreimal, viermal.“

Böll zeichnet ein spannendes und realistisches Bild von den Geschehnissen an den vier Tagen. Als Leser vergisst man fast, dass es sich nicht um eine wahre Geschichte handelt. Das Motto der Erzählung „Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der ›Bild‹-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“ geben die Anspielung der als ZEITUNG betitelten Medien auf die ›Bild‹-Zeitung und ihre Recherche- und Berichterstattungstaktiken wider. Böll schreibt dazu in seinem Nachwort „Über die Gewalt von SCHLAGZEILEN ist noch zu wenig bekannt, und wohin die Gewalt von Schlagzeilen führen kann, darüber wissen wir nur wenig.“ Er selbst gibt in seiner Erzählung einen kleinen Ausblick.

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