eine sammlung.

1934

Die Straßen um Pisa

"Als Ebenbild und Zerrbild lebt es noch eine Zeitlang fort und will als Wahrheit über uns gelten."

In Tania Blixens Erzählung ‘Die Straßen um Pisa’ taucht der Leser ein in eine phantastische Welt voller Wirrungen, Täuschungen und Verfremdungen. Es ist eine Geschichte über Wahrheit und Realität und die Frage durch wen und was sie bestimmt werden. Die Erzählung wurde 1934 im Rahmen des Buches “Seven Gothic Tales” erstmals veröffentlicht.

Die Haupthandlung bildet die Suche des Edelmanns Augustus von Schimmelmann nach der Enkelin einer alten Dame. Nach einem Unfall mit der Kutsche erzählt ihm die Dame die Geschichte ihres Streits mit ihrer Enkelin Rosina und bittet Schimmelmann, sie zu finden. Der Streit gründet auf der von der alten Dame erzwungenen Heirat Rosinas mit dem Prinz Potenziani, obwohl deren Liebe bei einem anderen liegt.
Um diese Haupthandlung winden sich wie die Straßen um Pisa viele Nebenstränge, Geschichten in der Geschichte, die die Haupthandlung unterbrechen. Und der Protagonist Schimmelmann bleibt, auch wenn es sich um seine Geschichte handelt, eigentlich nur ein Nebendarsteller, der das Geschehen nicht aktiv mitgestaltet, sondern in der Position eines Zuschauers in einem Theaterstück agiert.
Auf der Suche nach Rosina verweilt Schimmelmann in einem Gasthaus, wo er auf einen jungen Mann trifft, der sich später als junge Frau entpuppt und auf den Prinz Potenziani in Begleitung eines weiteren Prinzen, Prinz Giovanni. Als Reaktion auf die Erzählung einer Geschichte von Potenziani, fordert ihn sein Begleiter zum Duell heraus und Schimmelmann und die junge Dame sehen sich am nächsten Tag in die Rolle der Sekundanten der beiden versetzt. Das Duell endet mit dem Herztod Potenzianis, als sich die junge Dame als Agnese, Rosinas beste Freundin zu erkennen gibt.

Die zu Beginn von Schimmelmann geäußerte Begebenheit “wie er als Kind in das Lachkabinett des Panoptikums in Kopenhagen mitgenommen worden war, wo man sich von oben und unten, von rechts und links im Bilde sehen konnte in Hunderten von Spiegelgläsern” und die Erkenntnis, dass all diese “bald verkürzten, bald in die Länge gezogenen” Spiegelungen die Realität zwar “mit einer gewissen Ähnlichkeit” wiedergeben, aber eben doch verzerrt, wird das Motto des gesamten Buches.
Alle Geschichten in der Geschichte sind Teil einer verzerrten Realität, die gleichzeitig Realität erzeugen, indem die Figuren mit ihnen zu Handlungen verführen. Tania Blixen fordert vom Leser ein hohes Maß an Konzentration auf die Handlung und die Figuren, um dem raffinierten und komplexen Plott folgen zu können, der vor Verfremdungen und überraschenden Wendungen strotzt, und nicht in Verwirrung unterzugehen.

Da entpuppt sich nach dem Kutschunfall, der alte Herr als alte Dame, der junge Mann im Gasthof stellt sich als Agnese heraus. Der impotente Prinz Potenziani stellt zum Beweis seiner Potenz Prinz Giovanni an, der für ihn seine Frau Rosina schwängern soll. Doch statt Rosina schläft er unwissentlich mit Agnese, die ihre Freundin vertritt, während diese bei ihrer wahren Liebe ist.

Die Erzählung spielt mit Identitäten, Geschlechtern und Rollen und stellt die alte, von Männern dominierte Weltordnung in Frage. Alle Figuren scheinen Teil eines Puppenspiels zu sein, in dem sich die Realität jeden Augenblick ändern kann.

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